Über das Projekt

Über die Jahrhunderte standen Gott und Geschichte in einem komplizierten Verhältnis. Heutzutage ist es eine Binsenweisheit, dass Geschichte nicht nur aus einer Abfolge von Ereignissen besteht. Stattdessen bedeutet eine Darstellung der Geschichte immer, dass wir ihr eine Struktur und einen Sinn unterlegen. Dieses Teilprojekt beschäftigt sich mit der lexikalischen und semantischen Analyse der Begriffe für Gott und das Göttliche in den Biographien Plutarchs, des platonischen Philosophen und Priester des Apollon in Delphi, der zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments geschrieben hat. In der Tat ist es so, wie Swain (1989, 272) betont hat: «The difficulty in estimating Plutarch’s belief of providential interference in history lies principally in his terminology». 

Eine philologische, lexikalische und semantische Analyse ist daher ein sinnvoller Ausgangspunkt, um sich dieser komplexen Fragestellung zu nähern. Daher stellen sich die Hauptfragen, die mich auf diesem Weg bewegen, wie folgt: Welche Worte benutzt Plutarch, um auf das Eingreifen des Göttlichen hinzuweisen? Wo wird ein solcher Eingriff als Werk einer individuellen Gottheit verstanden? Wo erscheint es als Ausdruck der göttlichen Natur überhaupt? Können wir einen Unterschied zwischen θεός und δαίμων erkennen (vgl., e.g., Stoffel 2005, 306–309; über Plutarchs Dämonologie, vgl. Brenk 1977), und wenn ja, was wären die spezifischen Konturen einer solchen Unterscheidung? Welche Gottheiten greifen in die Geschichte ein und wie werden sie von Plutarch profiliert (cf. Valgiglio 1988)? Darüber hinaus gibt es mehr funktionale Vorstellungen vom Göttlichen, die gelegentlich auf traditionelle Personifikationen zurückgreifen, wie z. B. Tύχη, die Göttin der Wechselfälle des menschlichen Lebens (vgl. Swain 1989). Πρόνοια erscheint weniger als Personifikation, sondern vielmehr als Gottes Vorsehung für die Welt. Die Auseinandersetzung mit der Terminologie ist wichtig, um die Schnittstelle zwischen religiösen und philosophischen (d. h. metaphysischen) Traditionen im Denken Plutarchs zu untersuchen (vgl. Boys-Stones 2016).

Wie die jüngere Forschung zu Plutarchs Viten nahegelegt hat (e.g., Pérez Jiménez 2010), ist bei der Darstellung menschlicher Bestrebungen immer mit dem Eingreifen des Göttlichen zu rechnen. Grethlein (2013) schliesst auf «a strongly teleological design» in den Viten, indem er herausarbeitet, wie Plutarch die Entwicklung des individuellen Lebens seiner Charaktere darstellt. Auf dieser Grundlage könnte die traditionelle und standardisierte Interpretation der Biographien Plutarchs problematisiert werden, indem aufgezeigt wird, wie und warum Plutarchs Geschichtsauffassung in seinem philosophischen und vor allem theologischen Denken begründet ist und sich in seiner Sprache widerspiegelt.

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